Bergamont Vitess Ltd. Rigid 2013

…oder: Der Teufel steckt im Detail

Mein fast volljähriges Villiger Tourenrad hat ausgedient, es musste ein neues her. Zwar war ich mit dem Villiger immer sehr zufrieden, aber die Reparaturen häuften sich und hätten zuletzt viel mehr gekostet, als das Fahrrad, das ursprünglich knapp 2000,- DM gekostet hatte, noch wert war. Nach kurzer Suche habe ich mich für das Bergamont Vitess Ltd. in der gleichen Preislage entschieden, musste dann aber noch bis Anfang November warten, da die 2012er Variante schon ausverkauft und die 2013er noch nicht verfügbar war. Inzwischen habe ich das Rad seit knapp zwei Monaten und bin damit die ersten paar Hundert Kilometer gefahren – genug, um ein Resumé zu schreiben.

Mich für das Vitess Ltd. zu entscheiden war einfach, da es sonst kaum Räder unter 1000€ gibt, die die Merkmale haben, auf die ich besonders viel Wert lege:

  • Ordentliche Gruppe (hier: XT, SLX)
  • Starre Gabel
  • keine Scheibenbremsen, am liebsten hydraulische Felgenbremsen (hier: Magura HS 11)
  • Nabendynamo, nachdem mein letzter Seitenläufer sich bei ca. 55km/h in seine Einzelteile aufgelöst hat

Natürlich hat das Vitess Ltd. noch einiges mehr zu bieten, das mir persönlich nicht ganz so wichtig ist, darunter:

  • Geringes Gewicht (ca. 13kg bei 48cm)
  • Racktime Gepäckträger
  • Ergonomische Griffe (ähnlich Ergon GP1)
  • Busch & Müller Beleuchtung (aber… siehe unten)

Rahmen

Bei Kleidung hört man ab und zu: „Bitte eine Nummer größer bestellen!“. Das trifft auch auf das Vitess Ltd. zu. Mein 52cm Villiger und andere Räder dieser Größe waren zu groß für mich, deshalb habe ich das Vitess in der 48cm Ausführung bestellt. Die Sattelstange ist nun fast ganz draußen und zwischen Oberrohr und Schritt könnten Eichhörnchen stepptanzen. Dennoch lässt sich der Lenker auf eine für mich sinnvolle Höhe einstellen, insofern geht das gerade noch in Ordnung. Zum aufrechten Fahren ist das Bergamont sowieso nicht konzipiert.
Ach ja, das Abus Bordo Faltschloss musste ich am Unterrohr montieren, da am Sattelrohr nicht genug Platz ist. Am Sattelrohr ist nun ein neuer Flaschenhalter, bei dem ich die Flasche seitlich rausnehmen kann. Die SIGG 0,7l Flasche passt übrigens gerade so!

Sorgen hatte ich bei der Steife und Stabilität. In einigen älteren Berichten beklagten Fahrer leichterer Bergamont Modelle sogar, dass ihr Rad anfängt zu „flattern“. Meine Sorgen erwiesen sich aber eindeutig als unbegründet, der Rahmen fühlt sich exakt so an, wie er sich anfühlen soll. Ich fühle mich bei jeder Geschwindigkeit sicher, nichts flattert, was soll ich sagen – es ist einfach alles in Ordnung.

Der Rahmen ist schon mit viel Liebe zum Detail gestaltet, was Vor- und Nachteile hat. Schick ist er, lediglich die ungenutzte zusätzliche Bohrung an der linken Unterstrebe stört das einheitliche, fließende Design. Wozu ist die überhaupt da? Falls jemand doch lieber eine Scheibenbremse montieren möchte?
Das Ausfallende ist auch besonders interessant gestaltet und fließt sozusagen mit dem Rahmen zusammen. Sieht schön aus, hat aber einen Nachteil: Viele Anhängerkupplungen passen nicht mehr, so wie die meines Croozers. Da bleibt nur der Umbau der Kupplung (IMHO am besten auf Weber, wenn man das Geld hat), die Nutzung eines Adapters (z.B. von Burley) mit dem Schnellspanner, wobei man bei der Stabilität Abstriche machen muss, oder der Umbau auf Vollachse, ebenso mit Adapter.

Wer damit rechnet, dass der schick mattschwarze Rahmen länger sauber aussieht, hat sich verrechnet.

Licht und Leichtbau

RADtouren hat beim letzten Modell schon das Licht bemängelt – dem schließe ich mich an. Der Scheinwerfer LUMOTEC Lyt von Busch & Müller hat mich schwer enttäuscht. Vor wenigen Monaten beneidete ich noch eine Bekannte, deren neues Rad den Weg im dunklen, unbeleuchteten Park am Stadtrand ordentlich ausleuchtete, während ich mich mit meiner alten Halogenfunzel kaum traute, schneller als Schritttempo zu fahren. Genau dieser Weg war meine erste Strecke mit dem Vitess. Und wieder fuhr ich nur Schritttempo… Jetzt verrichtet ein Philips SafeRide 60 seinen Dienst am Fahrrad, und das absolut zufriedenstellend. Zu den Anschaffungskosten des Rads würde ich auf jeden Fall noch den Preis eines neuen Schweinwerfers hinzurechnen!
Der Gerechtigkeit halber sollte man hinzufügen, dass andere Räder in dieser Preislage meist auch kein besseres Licht haben.

Das Rücklicht ist okay, auch aus Autofahrer-Sicht.
Ein Problemchen gibt es aber trotzdem. Das Vitess Ltd. ist ein Fahrrad, dass einerseits auf Leichtbau getrimmt ist, andererseits eine Vollausstattung hat. Um Gewicht zu sparen wurde die schicke und stabile Gepäckträger Racktime Light-It verbaut. Dieser ist schmaler als ein üblicher Gepäckträger – sogar schmaler als das natürlich überstehende Rücklicht, das er dementsprechend nicht schützt! Und so nahm das Schicksal beim Anlehnen des Rads an einer Stange irgendwann mal seinen Lauf… Hoffentlich hält mein neues Philips Rücklicht länger. Besitzer eines Vitess Ltd. oder eines Racktime Light-It müssen sich einfach angewöhnen, auf so etwas zu achten.

Kleinteile und Regen

Seitdem ich das Fahrrad habe, regnet es. Jetzt wisst ihr es, sorry, ich bin schuld an dem schlechten Wetter.
Mein Rad steht übrigens immer im trockenen Keller, wenn es nicht gefahren wird. Dennoch habe ich ein einem der beiden WELLGO LU-975 Pedale etwas Rost bemerkt. Nachgeschaut hatte ich übrigens nur deshalb, weil das Pedal knackte – das Lager war kaputt. Mein Händler hat mir dann bessere Pedale zu seinem Einkaufspreis gegeben, ich weiß leider nicht wie die heißen. (Nachtrag: Sie sind von VP, den Modellnamen weiß ich leider immer noch nicht.) Natürlich ärgerte ich mich über das kaputte Pedal, andererseits sind die WELLGOs bei Regen sehr rutschig, ich würde diese Pedale niemandem empfehlen. Bei den neuen Pedalen dagegen habe ich eine sehr guten Halt, das ist mir schon viel wert.

Auch die Kosten für eine neue Klingel sollten mit einkalkuliert werden, falls man im Regen fährt – dann klingelt die originale Glocke von Bergamont nämlich nicht mehr. Meine rostete innen schon nach ein paar Wochen.

Die ergonomischen Griffe bringen vermutlich nur dann einen Vorteil, wenn man mit normalen Probleme hat. Allerdings sind diese Griffe und somit auch der Lenker wesentlich schwieriger einzustellen als normale Griffe. Ich habe Wochen gebraucht, um eine komfortable Lenker-/Griffposition zu finden, bei der mir die Hände nicht einschlafen. Jetzt ist aber alles okay.

Der Ständer funktioniert, sollte aber wegen seines Winkels und leichten Materials präzise eingestellt werden, während es bei anderen Ständern oft egal ist, ob sie nun einen Zentimeter zu lang oder zu kurz sind. So stabil und sicher wie mein alter Pletscher Ständer, der auch hielt, wenn ich ein Dutzend 1,5l-Flaschen Sprudel im Korb hatte, ist der Atran des Vitess Ltd. sicher nicht, wiegt dafür aber vermutlich nur die Hälfte.

A propos Pletscher – mein letztes Rad hatte einen Pletscher Gepäckträger, bei dem man Taschen und Körbe schnell befestigen und abnehmen kann. Das System von Racktime ist eindeutig besser. Nicht nur, dass der Korb viel stabiler sitzt, er lässt sich auch abschließen, wenn man den Wucherpreis von 13€ für das poplige aber funktionelle Schloss zahlt. Nochmal: Systemkörbe und -taschen sitzen selbst auf dem dünnen Racktime Gepäckträger sicherer als bei Gepäckträgern in normaler Größe von Pletscher oder mit InterChange System!

Shimano, SRAM und Magura

Hmja. Mal gucken, wie das in den nächsten Jahren wird. Bisher sehe ich noch keinen Vorteil bei den Maguras gegenüber meinen alten DiaCompe V-Brakes, die Bremsleistung ist ähnlich und lässt sich nicht besser oder schlechter dosieren. Aber die V-Brakes ließen sich besser einstellen.

(Nachtrag… oder Vortrag? Das Nachfolgende hat schon keine Gültigkeit mehr, die Schaltung konnte ich heute endlich ideal einstellen. Lange hat’s gedauert.) SLX Schalthebel, XT Schaltwerk und Umwerfer, SRAM Zahnkranz –  klingt gut. Wieso schaffe ich es nicht, das alles so einzustellen, dass die Schaltung so zuverlässig, schnell und präzise wie bei meiner uralten Deore LX läuft? Klar, die LX hat nur 8 Gänge, die XT 10, aber man sollte doch denken, dass sich seit den 90ern einiges getan hat und eine aktuelle XT so gut wie eine LX von damals schaltet? Vor einer Weile habe ich das Rad deshalb zu einer guten Werkstatt gegeben, danach ging es eine Weile besser, aber insgesamt fühlt sich das Schaltwerk eher nach 200GS an als nach LX oder XT. Okay, 200GS ist ein bisschen übertrieben. Aber manchmal knackt da irgendetwas beim Treten, vor allem beim Anfahren… Ich muss da wohl noch viel Zeit investieren.

Während ich bei der LX alle 24 Gänge genutzt und mir ab und zu Zwischengänge gewünscht habe – deshalb wollte ich übrigens keine 11 Gang Nabenschaltung – nutze ich nun fast nur die „mittleren“ zehn Gänge. Naja, besser zu viel als zu wenig.

Fazit

Würde ich das Rad noch einmal kaufen oder einem Freund empfehlen? Ja, unter zwei Voraussetzungen:

  1. Das Rad ist meiner Meinung nach nicht von der Stange perfekt. Man sollte sich Zeit nehmen, Geduld haben und auch selber Hand anlegen können. Vermutlich wird man in den Wochen nach dem Kauf noch einiges an dem Rad ändern, bzw. anders einstellen wollen.
  2. Man sollte mindestens noch weitere 60€ für einen ordentlichen Scheinwerfer einplanen. Am besten tauscht man gleich auch die Pedale und die Glocke aus.

Man erhält dann ein gut ausgestattetes Rad mit einem ordentlichen Rahmen, aber ohne unnötigen Schnickschnack, der nur den Preis oder das Gewicht erhöhen würde.